Der Festtag beginnt mit Trauer. Zu Beginn des feierlichen Gottesdienstes in der übervollen Martinskirche überbringt Dompropst Tobias Schäfer die Nachricht von Eckehart Wolffs Tod. In der vergangenen Nacht, so der sichtlich bewegte Dekan, sei der Ehrendomkapitular von uns gegangen, friedlich und im Kreis vertrauter Menschen.
Geburtstag feiern im Schatten des Lebensendes? Ob man das kann und darf, fragen sich sicher viele in diesem Moment. Aber gerade die Mitarbeiterinnen der Alten- und der Hospizhilfe wissen, dass das Sterben eben zu uns gehört. Und damit hat es, wie alle anderen Farben des Lebensbogens, auch einen Platz auf diesem Fest.
Caritas ist Kirche - das Herz der Kirche
"90 Jahre - mit dem Herzen dabei." Unter dieser Überschrift hat der Caritasverband heute alle Wormserinnen und Wormser eingeladen. Mitarbeitende haben zu jedem Fachbereich ein großes herzförmiges Transparent gestaltet und zu Beginn des Gottesdienstes im Altarraum aufgestellt.
Vor dieser farbenfrohen Kulisse dankt Dekan Tobias Schäfer ihnen dafür, dass sie "mit Gespür und Herz" an der Seite der Menschen stehen. "Die Begegnung mit dem Herzen schenkt Ansehen und Würde." Caritas - das sei eben nicht, wie viele leider denken, irgendein kirchlicher Verband. "Caritas ist tätige Nächstenliebe. Caritas ist Kirche - das Herz der Kirche."
Nach dem Gottesdienst sind alle zum Fest der Begegnung in den Innenhof der Martinskirche eingeladen: es gibt Mittagessen und alkoholfreie Cocktails, Kinderschminken und Eis, türkischen Tee bei Turkuaz, fair Gehandeltes beim Weltladen und viele Informationen von Fachbereichen und Partnern der Caritas.
Auf der Bühne geht es inzwischen mit Beiträgen weiter: Caritasdirektor Georg Diederich lädt nach seinen Grußworten Mitarbeiter dazu ein, anhand der herzförmigen Transparente ihre Arbeit vorzustellen: Die Kinder in St. Marien als die Blätter eines Baumes oder Bilder für das miteinander Leben im Alter als Ausdruck von Liebe - eine Fülle von Kreativität versammelt sich auf der kleinen Bühne. Mit Augenzwinkern stellt Myriam Jünemann das Caritaskreuz aus Büroklammern auf dem Herz der Verwaltung vor. "Bei uns geht es eben doch nicht nur um Zahlen!"
Zum Schmunzeln bringt auch OB Michael Kissel die Gäste mit der Bemerkung, bei dieser Hitze sei es ein Zeichen der Barmherzigkeit, dass es hier etwas zu trinken gebe.
Das Beispiel ist das einzige Mittel, um andere zu beeinflussen.
Diakonieleiterin Anne Fennel kritisiert, dass unsere Gesellschaft die Idee, jeder sei seines Glückes Schmied, auf die Spitze treibe und damit ganze Gruppen ins Abseits dränge. Die Arbeit der Caritas ehrt sie mit einem Zitat von Albert Schweitzer: "Das Beispiel ist nicht das wichtigste, es ist das einzige Mittel, um andere zu beeinflussen. Wenn wir einen Menschen sehen, der ehrlich bemüht ist, seinen Mitmenschen zu helfen, dann schöpfen wir neue Hoffnung."
Nach einem wunderbaren Konzert von Bewohnern und Mitarbeitern des Burkhardhauses kommen Begleiter und Klienten der Caritas zu Wort.
Nahe bei den Menschen
Koordinator Thomas Jäger fragt den langjährigen Weggefährten Pfarrer Leo Veith, 88, was in seinen Augen den Caritasverband Worms ausmache. Die Antwort kommt ohne Zögern: "Die Menschennähe! Ich bin mit meinen Fragen nie abgewiesen worden, es gab immer eine freundliche Antwort. Und nicht nur ich: alle bekommen Antworten von Menschen, die bereit sind zu helfen." Und was wünscht er sich vom Caritasverband? "Dass er bei seiner Quelle bleibt - der Liebe."
"...meistens lieb..." findet auch die 12jährige Selina die Betreuerinnen und Betreuer ihrer Wohngruppe in St. Marien. "Manchmal nerven die aber auch, mit Zimmer aufräumen und so." Und wie ist es mit den anderen Kindern? "Wir leben halt wie Geschwister zusammen, da geht auch mal was schief." Später möchte sie bei der Lebenshilfe arbeiten.
Maria Bornemann hat über ein Praktikum mit Hilfe des IQW inzwischen eine feste Stelle als Altenpflegehelferin. Asiel Rodriguez del Gado hat einen Einstellungstest bei der Flugsicherheit bestanden und auch Josef Weiss ist dankbar für die praktische und technische Unterstützung bei Bewerbungen. Sein persönlicher Wunsch: "Wir bräuchten mal ein besseres Wort für 'Maßnahme'. Das klingt so nach Strafmaßnahme."
Frank Hasselbach war glücksspielsüchtig. Mithilfe der Suchtberatung der Caritas hat er den Weg hinaus gefunden. "Es war wichtig für mich, dass jemand da war. Und jetzt versuche ich, wieder etwas zurückzugeben." Inzwischen leitet er eine Selbsthilfegruppe und ist Präventionsbeauftragter für Suchtfragen an seinem Arbeitsplatz.
Mehmet Kırışoğlu war über die Lebenshilfe Praktikant im Burkhardhaus, arbeitet inzwischen ehrenamtlich im Empfang des CaritasCentrums und gibt dort mit seiner Freundlichkeit jedem das Gefühl, willkommen zu sein. Für den Rollstuhlfahrer, der auch hier beim Fest mit mancher Hürde zu kämpfen hat, war das kein einfacher Weg. Heute dankt er allen, die an ihn geglaubt und ihn unterstützt haben.
"Die müssen so viel laufen - und sind dabei so liebevoll."
Elisabeth Reder, 82, wohnt seit 2013 im Burkhardhaus. 40 Jahre lang hat sie für den Verband gespendet - und gesammelt. "Damals gingen wir noch von Haus zu Haus." Sie erinnert sich gut an die Eröffnung der Sozialstation St. Lioba und an Schwester Gutbertha, die sich bis dahin um Alte und Kranke in der Gemeinde kümmerte. "Eine Seele von Mensch." Ihre menschliche Wärme findet sie im Burkhardhaus wieder - auch, wenn ihr der Umzug dorthin erstmal sehr schwer fiel. "Am Anfang ging ich mal im Hof spazieren und dachte: 'Eben hau ich ab.'" Über die Mitarbeiter sagt sie: "Die müssen so viel laufen - und sind dabei so liebevoll." Später frage ich sie noch nach ihrem Geburtstagswunsch für die Caritas. Da wird ihr Gesicht ganz ernst, trotz der vielen Lachfältchen: "Mehr Personal."
Alle Kinder dieser Erde...
Flüchtlinge und Armut, Inklusion und Glauben - alles hatte seinen Platz an diesem Tag, weil alles seinen Platz in der Caritas hat. Wie auch das Sterben. Zu allem etwas zu schreiben, würde noch Seiten füllen. Aber vielleicht ist ja auch mit dem Abschlusslied des Gottesdienstes der beiden Osthofener Caritas-Kitas alles gesagt, was noch zu sagen wäre. "Alle Kinder dieser Erde", so sangen sie, "sind vor Gottes Angesicht eine riesige Familie, ob sie's wissen oder nicht."
Patricia Mangelsdorff, Freie Mitarbeiterin