Worms. In der Pause, im Bus, auf dem Klo: Mit dem Smartphone sind Online-Wettbüros und digitale Casinos rund um die Uhr geöffnet - und werden ebenso genutzt. Für die einen ist dies willkommene Zerstreuung. Für andere eine Katastrophe. "Das größte Problem ist die ständige Verfügbarkeit", sagt Mirko von Bothmer, der die Suchtberatung bei der Caritas in der Nibelungenstadt leitet. Seit Jahren nimmt die Zahl der (Glücks-)spielsüchtigen zu. Und im gleichen Maße wird die Finanzierung der Suchtberatung immer schwieriger. Längst haben etliche Anlaufstellen in der Region aufgegeben; das Psychosoziale Zentrum (PSZ) des Caritasverbands Worms e.V. betreut Menschen aus dem Donnersbergkreis bis hinter Alzey. Rund 500 suchten 2023 in der Renzstraße Hilfe.
Allein in Worms spielen sich statistisch rund 2.000 Menschen an Automaten und in Wettbüros, digital und analog, um Kopf und Kragen. Dazu kommen nochmals etwa 3.500 Computer- und Internetabhängige, darunter viele junge Leute - Tendenz stetig steigend. Weil er das wachsende Problem schon früh erkannt hat, gründete der Caritasverband Worms e.V. bereits 2008 seine Fachstelle Glücksspiel- und Internetsucht. Der damalige Spielertypus: fünfzig, männlich, Automaten mit Münzgeld fütternd. Inzwischen verzockt rund die Hälfte der Menschen, die Suchtberater Mirko von Bothmer und sein Kollege Uwe Nichulski in Einzel- oder Gruppengesprächen treffen, ihr Geld online; das Durchschnittsalter sinkt. Ihr Vor- und gleichzeitiger Nachteil: "Am PC oder Smartphone sieht man sie nicht. Die Scham, in ein Casino oder an einen Automaten zu gehen, fällt weg", sagt von Bothmer. Und dann ist da eben noch die ständige Verfügbarkeit, die ständige Verlockung.
"Viele Menschen kommen erst zu uns,
wenn sie vor dem Nichts stehen."
In seinen mehr als 20 Jahren bei der Caritas hat der Suchtberater viele Menschen begleitet, unzählige Schicksale miterlebt. Er kann von einem ehemaligen Bundespolizisten berichten, der an Automaten "zwei Ehen und ein Haus verspielt" hat, von einem Mittzwanziger aus einem Bildungshaushalt, der nach einer Lehre in einem renommierten Unternehmen dermaßen in seinen PC-Spielen versank, dass er depressiv, suizidal und hoch verschuldet vor der Räumungsklage steht. Von einem 70-Jährigen, der schon seit Jahrzehnten in Online-Strategiespielen unterwegs ist und darüber Job und soziales Leben verloren hat. Und sich selbst beinahe mit, weil er an Maus und Tastatur gekrallt das Essen und Schlafen vergaß.
"Viele Menschen kommen erst zu uns, wenn sie vor dem Nichts stehen", weiß von Bothmer. Oft versuchten auch Angehörige, die Reißleine zu ziehen. Über 2.000 Kontakte hat die Fachstelle Glücksspiel- und Internetsucht in 2023 verzeichnet, und 2024 werden es noch mehr sein. Denn inzwischen ist sie allein auf weiter Flur. Die nächsten Anlaufstellen sind in Ludwigshafen, Mainz und Oppenheim. Dazwischen gibt es nur die Wormser Caritas. Und auch sie hat zu kämpfen. Denn nach wie vor finanziert der Sozialverband gut 30 Prozent der Kosten für die teils jahrelange Beratung der Betroffenen aus Eigenmitteln und über Spenden. Die zugewiesenen Gelder der Kommune und vom Land sinken stetig. "Das Problem ist, dass die Suchtberatung immer noch eine freiwillige Leistung und nicht gesetzlich verankert ist. Und bei leeren Kassen darf die Stadt nur Pflichtausgaben tätigen", erklärt von Bothmer. Wie seine Kolleg:innen bundesweit fordert er deshalb gesetzliche Neuregelungen, um die Finanzierung sicherzustellen. "Wir sind nicht nur erste Anlaufstelle für Menschen in akuten Krisen, wir helfen ihnen auch, langfristig stabil zu bleiben - und das verhindert wiederum Folgekosten für das Gesundheitssystem", betont der Suchtberater.
Neue Selbsthilfegruppe für
Menschen mit Spielsuchtproblematik
In Worms will die Caritas ihr Angebot trotz aller Widrigkeiten aufrechterhalten und hat es jüngst sogar noch ausgebaut: Eine offene Selbsthilfegruppe, moderiert von Mirko von Bothmer und Uwe Nichulski, trifft sich jeden ersten und dritten Montag im Monat um 16.30 Uhr im PSZ (Renzstraße 3). Hier können sich Menschen mit Spielsuchtproblematik austauschen, finden Rat und Zuspruch. "Gerade beim Thema Spielsucht stoßen Betroffene oft auf wenig Verständnis. Sie kriegen dann zu hören: Dann hör‘ halt auf", weiß der Gruppenleiter. "Aber wenn es so einfach wäre, dann würden sie unser Angebot nicht so dringend brauchen."
Hintergrund:
Mit dem bundesweiten Aktionstag Suchtberatung am 14. November 2024 machen Suchtberatungsstellen in ganz Deutschland auf ihre vielfältigen Angebote sowie auf aktuelle Problemlagen vor Ort aufmerksam. Die Website aktionstag-suchtberatung.de informiert umfassend zu den Leistungen und zum gesellschaftlichen Stellenwert der Suchtberatung.
Suchtberatung in Worms:
Mirko von Bothmer, vonbothmer@caritas-worms.de, Telefon 06241 48036-310