Worms. Einen entspannten Stolz strahlen sie aus, die jungen Leute, die sich hier am 22. April auf ihrem Balkon zum Grillabend versammelt haben. Und sie wissen: sie haben ihn sich wirklich verdient.
Beim Blick in die Runde könnte man vergessen, dass wir uns mitten in der Coronapandemie befinden. Zwischen den siebenjungen Frauen und drei jungen Männern der "Wohngruppe Zwei" des Caritas Kinder- und Jugendhilfezentrums St. Marien in Worms gibt es keine Sicherheitsabstände. Das muss auch nicht sein, denn das gesamte Hilfezentrum befindet sich seit dem 14. März in Isolation. "Wir haben das selber so entschieden," sagt Leiter Markus Pelz, "... weil wir so die Kinder, Jugendlichen, ihre Familien und auch die Mitarbeitenden am besten schützen können."
Wie "normale" Familien auch bleiben also auch die Wohngruppen gemeinsam zu Hause. Mit allem, was dazugehört: Homeschooling, immer dieselben Gesichter, Kontakt zu Eltern, Geschwistern, Freundinnen und Freunden außerhalb der Einrichtung nur per Telefon und Video, keinerlei Ausflüge. Viel verlangt? Zweifellos. Aber, so Markus Pelz: "...alle - die Kinder und Jugendlichen, ihre Eltern und unsere Mitarbeitenden - haben die Entscheidung auf bewundernswerte Weise mitgetragen!"
Und damit nicht genug. Die Jugendlichen der Wohngruppe Zwei tun weit mehr, als die Situation nur auszuhalten. Sie schauen aus dem Fenster - und finden Aufgaben.
von links nach rechts: Caritasdirektor Pascal Thümling und Markus Pelz, Leiter des Caritas Kinder- und Jugendhilfezentrums, auf dem ebenfalls von der Gruppe gebauten Sandkasten. © Caritasverband Worms e. V.
Zuerst kommt der Sandkasten für die Kleinen an die Reihe: Der war schon seit längerem auf der Wiese direkt unterhalb ihrer Terrasse geplant. Markus Pelz: "Wir hatten nur noch nicht den Richtigen für unsere Anforderungen gefunden. Als die WG Zwei dann Anfang April mit dem Vorschlag auf mich zukam, selber einen Sandkasten zu bauen, habe ich keinen Moment gezögert." Mit Hilfe des Hausmeisters wird geplant, Holz besorgt, verschraubt und nach wenigen Tagen schließlich werden fast zwei Tonnen Sand eingefüllt.
Als nächstes geben sie dem Wackelpferd, das im Keller wartet, einen stabilen Untergrund. Die nötige Rasenfläche ist nach zwei Stunden ausgehoben - und die Wohngemeinschaft der Kleineren kann von da an Sandkasten und Pferdchen nutzen. Natürlich zu genau festgelegten Spielzeiten, denn jede Gruppe muss ja streng für sich bleiben.
Genug geschafft? Von wegen. Mit den beiden Projekten für die Jüngeren hat sich die WG Zwei erst so richtig warmgelaufen. Jetzt kommt das größte Projekt an die Reihe - auch das ist von ihrem Balkon aus sichtbar: 2019 war ein Gebäude der Einrichtung aus statischen Gründen abgerissen worden. Der geplante Neubau scheiterte am Untergrund, der sich als nicht geeignet erwies. Übriggeblieben war ein etwa 350 qm großes Gelände, auf dem sich der Bauschutt buchstäblich türmte. Die Jugendlichen finden: unter diesem Schutt liegen Möglichkeiten, denn da ist ein Gelände, das sie selber gestalten und nutzen können. Da wollen sie ran - und dazu muss der Schutt weg. Jetzt.
Mut und Ideenreichtum
Ein Container muss her, um diese Herkulesaufgabe zu stemmen. Markus Pelz und auch Caritasdirektor Pascal Thümling ist klar: das muss schnell gehen. Den Ideenreichtum und Mut der jungen Leute durch bürokratische Hindernisse auszubremsen - das darf einfach nicht sein! Und obwohl die Pandemie dem Caritasverband gerade alles abverlangt, besonders aufgrund ihrer schwerwiegenden Folgen für Klientinnen und Klienten, steht der Container innerhalb von zwei Tagen bereit.
Doch bevor die WG mit dem Aufräumen beginnen kann, steht sie noch vor einer Frage: Wie kommt der Schutt von dem höher gelegenen Baugelände in den tiefer gelegenen Container, der am Fuß einer etwa 10mlangen Treppe steht?
Ein Team, das an einem Strang zieht
Wieder finden sie Inspiration beim Blick aus dem Fenster: Neben dem Werkzeugschuppen des Hausmeisters stehen lange Bretter, aus denen sie auf der Treppe eine Rutschbahn bauen. Auf ihr wird ab jetzt der Schutt die Treppe hinunter befördert. Zwei Stunden täglich sind fest in den Tagesablauf eingetaktet, aber der eine oder die andere schiebt auch schon mal eine Sonderschicht nach Feierabend ein. Es sei schon eine ziemliche Schufterei gewesen, sagen sie, habe aber, wie Kevin* sagt, "auch echt Spaß gemacht, besonders, wenn wir uns gute Musik dazu angemacht haben..." Maja: "Wir wurden jeden Tag professioneller; ein Team, das an einem Strang zieht."
Zehn Tage dauert die staubige Wuchterei - dann ist der 7 m3 fassende Container bis an den Rand gefüllt. Und es wird sichtbar, was die Gruppe erreichen wollte: ein großer leerer Platz, auf dem jetzt etwas Neues entstehen kann - für sie selber und ganz St. Marien.
Architekt Jörg Deibert bespricht die Ideen der Jugendlichen mit der Gruppe auf dem leergeräumten Platz© Caritasverband Worms e. V., Jörg E. Deibert
Zurück zum Grillfest. Inzwischen ist Architekt Jörg Deibert eingetroffen. Denn vor dem Essen soll es um die Frage gehen: was wird denn nun aus dem freigelegten Schatz? Der Architekt soll beim Planen und Einleiten erster Schritte helfen. Die Gruppe sprudelt vor Ideen nur so: Eine Bocchiabahn soll her, ein Platz zum Federballspielen, ein Freisitz und ein Fahrradständer. Ein Beet mit insektenfreundlichen Pflanzen, auch Erdbeeren und Tomaten haben eine starke Lobby, eine Kräuterspirale und, Jörg Deiberts Idee, Platz für ein sommerliches Freilichtkino, denn der Platz wird auf einer Seite von einer hohen, jetzt noch sehr unansehnlichen Mauer begrenzt, die natürlich auch nach Graffiti ruft.
Die schlechte Nachricht: bevor die ersten Ideen realisiert werden, muss erst mal die Betonversiegelung weichen. Die gute: Mit Jörg Deibert ist da ein erfahrener Fachmann am Ball und es wird so bald wie möglich passieren. Und die beste: Der Platz ist groß genug für alle Ideen der Gruppe.
Gibt es eigentlich schon einen Namen für den Platz? Jan zögert keine Sekunde: "Mein Platz."
*Vornamen der Jugendlichen geändert
Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendhilfezentrum St. Marien
Das Kinder- und Jugendhilfezentrum St. Marien des Caritasverbandes Worms e.V. bietet jungen Menschen und ihren Familien vielfältige Formen der Unterstützung in Krisen und schwierigen Lebenslagen.
Während die Tagesgruppen und ambulanten Angebote im Zuge der Auflagen zur Coronapandemie eingestellt werden mussten, entschied der Verband für die fünf Wohngruppen eine durchgehende Quarantäne, um seinen Schutzauftrag zu erfüllen. Jede der Wohngruppen muss strikt für sich bleiben, kein Kind bzw. Jugendlicher darf das Gelände verlassen und es gelten strenge Hygieneregeln. Alle Maßnahmen wurden und werden mit den Familien eng und im Konsens abgestimmt.
Text: Patricia Mangelsdorff, freie Autorin und Journalistin