Geld und Arbeit, Boutiquen und Einfamilienhäuser - alles Mangelware im Wormser Norden. Aber um die vielen Kinder können andere Stadtteile dieses Quartier nur beneiden. Denn tatsächlich, so Jürgen Beck, Geschäftsführer der Wohnungsbau GmbH, ist das Nordend der einzige Teil von Worms, in dem nicht mehr Menschen alt werden als junge nachfolgen.
Heute Nachmittag im Radgrubenweg ist das deutlich hör- und sichtbar: Das Ukulele Orchester der Pestalozzi Grundschule formiert sich gerade für einen Auftritt, die Hüpfburg bebt und auf dem ganzen Platz jauchzen und toben Kinder jeden Alters. Aber verrät uns die herzliche und ausgelassene Stimmung des Nachmittags etwas über Erfolg und Qualität der Caritasarbeit? Dass Kinder der Spiel- und Lernstube sich singend und und tanzend als 'Starke Kids' präsentieren, garantiert ihnen keine Ausbildung.
Aber es sind genügend Menschen hier, die den Bezug zum Alltag herstellen: "Einige unserer Kinder hätten ihren Lebensweg ohne den Caritasverband nicht gemacht." Die Dankesworte der Rektorin der Pestalozzi Grundschule Caroline Strauss bewegen. Und sie zeigen: Es ist der lange Atem engagierter Menschen, der hier Wichtiges bewirkt. Frau Strauss muss es wissen, denn die Pädagogin arbeitet seit 23 Jahren hier. "Gerade erst habe ich eine ehemalige Schülerin getroffen, die jetzt ihre Ausbildung abgeschlossen hat." erklärt sie im Gespräch. "Ihre Eltern, Migranten, hätten sie gerne beim Lernen unterstützt - aber sie hatten selber nicht genug Bildung erhalten. Ohne die jahrelange Begleitung der Caritas hätte die junge Frau diesen Weg nicht gehen können."
Betreuung in der Kita, Hausaufgabenhilfe, Freizeit- und Kulturangebote, Unterstützung bei Bewerbungen - tatsächlich begleiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas Menschen hier über viele Jahre. Nicole Bach, seit 16 Jahren als Sozialpädagogin hier tätig: "Was mich besonders freut ist, wenn Eltern, die schon als Kinder bei uns waren, uns noch heute ihr Vertrauen schenken. Das zeigt, dass wir als Ansprechpartner hier im Stadtteil fest verankert sind. Die Menschen wissen: Wir sind für sie da. Und es zeigt auch, dass die Spiel- und Lernstube wirklich zu einem Familienzentrum geworden ist."
Denn die Kita hat ihre Aufgaben erweitert. Heute ist sie mehr denn je auch für die Eltern ein Ort für Austausch und gegenseitige Hilfe und die Mitarbeiter verstehen sich als ihre gleichberechtigten Erziehungspartner.
Partnerschaft und Förderung des Miteinanders prägen die gesamte Caritasarbeit hier. Sie begann Anfang der 70er Jahre mit Förderangeboten für Kinder, Sozialarbeit und Nachbarschaftstreffen, seit 1984 gibt es die Kita Spiel- und Lernstube Am Holzhof, seit 1988 das Stadtteilbüro mit einer Vielfalt an Beratungs- und Bildungsangeboten. Seit einigen Jahren kommt als weiterer Anker noch der Gesundheitsladen hinzu, der obdachlosen und armen Menschen gesundheitliche und psychosoziale Unterstützung bietet.
Also alles prima? Keineswegs. Nicole Bach: "Frustrierend sind unsere räumlichen und personellen Beschränkungen. Wir könnten sofort noch eine weitere Kita öffnen - so viele Familien warten auf Plätze. Und wir können eigentlich kein Kind mehr auf die Warteliste setzen, weil wir den Menschen damit nur unrealistische Hoffnungen machen. Es ist traurig: die Menschen wünschen sich mehr Unterstützung - und wir haben einfach nicht genügend Ressourcen." Durdane Göktas, Mutter und der Caritas seit 1986 verbunden, sagt es so: "Wir wünschen uns nur eines von Ihnen: dass es Platz für mehr Kinder gibt."
Und es fehlt noch an vielem mehr: Ein Bürgerzentrum, Hilfen für Jugendliche, Angebote zur Berufsförderung ... die Liste ist lang. Das wissen auch die Akteure aus Kirche, Politik und Wirtschaft, die heute Nachmittag hier sind. Es geht nur gemeinsam, indem man sich die Bälle zuspielt. Deshalb lassen Caritasdirektor Georg Diederich und Fachbereichsleiter Georg Bruckmeir auch einen Ball die Runde machen, den Vertreter der Parteien und der Stadt, Engagierte aus Lukas- und Liebfrauengemeinde und viele Ehrenamtliche einander zuwerfen. Dazu erhält jeder symbolisch ein Stück Seil. Denn es wird auch in Zukunft nur mehr Chancen und Lebensqualität für die Menschen im Nordend geben, wenn alle an einem Strang ziehen.