Um das herauszufinden, lud der Wormser Caritasverband am 25. Oktober 2017 zu einer sozialpolitischen Veranstaltung ins EWR Kesselhaus. Anlass war das 100jährige Bestehen der Caritas im Bistum Mainz.
Gewichtige Zukunftsfragen also, auf die der Caritasverband an diesem Vormittag nach Antworten suchte - gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft, Politik, Kirche und Wissenschaft, Fachleuten, Bürgerinnen und Bürgern.
Integration ist und bleibt zentrale Aufgabe
Theresa Damm vom Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist Mitarbeiterin einer Studie für den Deutschen Caritasverband zum regionalen demographischen Wandel. Einige ihrer Aussagen zu Worms: Wie auch immer sich die Zahlen genau entwickeln - und das sei gerade auf regionaler Ebene schwierig vorauszusagen - weniger werden wir hier nicht. Ein Grund dafür sei die weitere Zuwanderung von Geflüchteten und anderen Migranten. Schon jetzt habe ein Drittel der Menschen in Worms Migrationshintergrund. Kein Zweifel also: Integration ist und bleibt zentrale soziale Aufgabe.
Keine Überraschung, aber drängende Themen: Kitaplätze und Pflegekräfte
Insgesamt, so Theresa Damm, werden wir zwar älter. Dennoch werde der Betreuungsbedarf für Kinder weiter ansteigen. Zum einen, weil die Anzahl der Kitaplätze gerade bei den unter Dreijährigen ohnehin hier noch viel zu gering sei; zum anderen, weil immer öfter beide Eltern arbeiten müssten und auch die Zahl der Alleinerziehenden weiter steige. Dringenden Handlungsbedarf - auch das ist keine Überraschung - sieht sie auch für ältere Menschen. Wir brauchen mehr Pflegekräfte, mehr Unterstützung für pflegende Angehörige und gerade auf dem Land eine bessere Beratung und Versorgung.
Netzwerke sozialer Beziehungen ermöglichen
Georg Diederich wies in diesem Zusammenhang in der Podiumsdiskussion auf das Caritaswohnprojekt St. Sebastian in Abenheim hin. Dort könnten Seniorinnen und Senioren weiter in ihrem Netzwerk sozialer Beziehungen leben und dabei genau die Pflege und Betreuung erhalten, die sie brauchen. Kleinräumig, flexibel, sozialraumorientiert und unter Einbeziehung von Gemeinde und Familie - diese Qualitäten sozialstaatlicher und sozialer Arbeit zogen sich als roter Faden durch die insgesamt fast vierstündigen Beiträge und Diskussionen. Auch für Kinder und ihre Familien: Für sie fördert der Caritasverband Patenschaften und macht Kitas zu Familienzentren und damit zu Orten der Begegnung und Beratung auch für die Eltern.
Sozialstaat und soziale Dienste müssen präventiver arbeiten.
Ein wichtiger Schritt, der aber weiterentwickelt werden muss, um noch stärker auf Alleinerziehende und junge Familien zuzugehen, die aus sprachlichen, kulturellen und sozialen Gründen sonst den Weg in Betreuungsangebote nicht finden. "Den Sozialstaat präventiver ausrichten", nennt das Prof. Dr. Georg Cremer, Generalsekretär a.D. der Caritas Deutschland und heute Professor für Wirtschaftspolitik in Freiburg. Genau da sei im Kampf gegen Armut und ihre sozialen Folgen die Kompetenz der Caritas und anderer Sozialverbände gefordert - etwa beim Ausbau früher Hilfen für junge Familien und Alleinerziehende und im Bildungsbereich. Dies griff auch Sozial- und Bildungsdezernent Waldemar Herder auf: Er könne es kaum ertragen, wie stiefmütterlich wir Bildung behandeln. Konkretes Beispiel: Worms dürfe Stütz- und Nachhilfeunterricht nicht mehr finanzieren, da dies für die Kommunen als freiwillige Leistung eingestuft worden sei.
Mehr Inklusion!
Ein Beispiel, dass sehr viel mit Prof. Dr. Matthias Möhring-Hesses zentralem Thema zu tun hat: Der Theologieprofessor in Tübingen, Sozialethiker und Mitglied der SPD-Grundwertekommission tritt vehement für mehr Inklusion ein. Es sei eine zentrale Aufgabe der Caritas, sich überall wie auch in ihren eigenen Diensten um die Teilhabe wirklich aller Menschen zu bemühen und niemanden auszuschließen - also unabhängig von Sprache, Kultur, Religion oder sexueller Orientierung alle Türen zu öffnen und aktiv auf Menschen zuzugehen. Das beinhaltet auch, den Aufbau neuer sozialer Beziehungen aktiv zu fördern. Gerade für Ältere sei es ein immer seltener werdendes Privileg, Familie zu haben. Mit freiwilligen Diensten und neuen Wohnformen müsse man sich hier um Ersatz bemühen, der auch Menschen mit wenig Einkommen zugänglich sei.
Mehr in soziale Infrastrukturen investieren, als Einzelfälle abzurechnen.
All dies ist für ihn eng mit dem Ausbau sozialer Infrastrukturen verbunden. Mit dieser Forderung traf er auf viel Zustimmung. Waldemar Herder etwa sprach sich für Sozialraumbudgets aus. Will sagen: Es sei viel sinnvoller, in einem Stadtteil wie z. B. dem Nordend den dort seit langem tätigen sozialen Akteuren Budgets zur Verfügung zu stellen, als auf der Abrechnung von Einzelmaßnahmen zu bestehen. Was natürlich, das sei ergänzt, Vertrauen voraussetzt. Auch Diözesancaritasdirektor Thomas Domnick wünscht sich ganz in diesem im Sinne eine sozialpolitische "Rolle rückwärts", statt nur betriebswirtschaftlich zu denken.
Die Zukunft ist längst da.
Ein viel zu kleiner sozialer Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose, die Folgen von Armut gerade für Kinder, die Arbeit für und mit geflohenen Menschen, die Befähigung aller zur Teilhabe... Immer wieder wurde an diesem dichten Vormittag deutlich: Die Zukunft ist längst da. Georg Diederichs Resümee angesichts all dieser Herausforderungen für den Caritasverband: "Auch als 100-jähriger stehen wir mitten im Leben. Und unser Ringen um eine gerechte Gesellschaft geht weiter."